Es soIl Ton geben, der eine merkwiirdige Eigenschaft aufweist. Driickt man in eine noch frische Tontafel beispielsweise mit dem Daumen eine Vertiefung ein, die man gleich darauf wieder glattstreicht, dann wird diese Vertiefung nach dem Brennen des Tones wieder deutlich sichtbar. Die Tontafel ist also in der Lage, einen vergangenen und wieder voriibergegangenen Zustand iiber einen langeren Zeitraum hinweg so zu bewahren, daB er unter bestimmten Bedingungen in seinen wesentlichen Eigenschaften reproduziert werden kann. In den meisten der vorliegenden psychologischen Definitionen wird "Gedachtnis" im wesentlichen als die Fahigkeit definiert, vergangene Ereignisse nach einer Behaltenszeit mehr oder weniger originalgetreu zu reproduzieren. Nach die ser Definition besitzt die Tontafel im psychologischen Sinne ein Gedachtnis. Wiirde man diese Aussage dahingehend zuspitzen, daB man behauptet, die Tontafel habe ein Gedachtnis wie ein Mensch oder umgekehrt, das menschliche Gedachtnis gieiche dem der Tontafel, dann ware zu Recht stiirmischer Protest zu erwarten. Trotzdem muB man feststeIlen, daB das menschliche Gedachtnis iiber viele Jahr zehnte hinweg in kaum einer anderen Leistung untersucht wurde als der des einfachen Reproduzierens vergangener Ereignisse. Untersuchungsgegenstand war also das Ge dachtnis als Medium der Bewahrung und Wiedergabe von "Eindriicken", als statischer Speicher, in den man Informationen hineingibt und aus dem Informationen nach lan gerer Zeit auch wieder abgerufen werden konnen. 1m vorliegenden Buch wird ein grundsatzlich anderer Standpunkt eingenommen.