Seit einiger Zeit ist Brasiliens Neokonkretismus in Ausstellungen, Katalogen und Publikationen in Europa prasent. Die Autorin nimmt erstmals auf Deutsch umfassende Werkanalysen vor und stellt den Schlusselcharakter der neokonkreten Praktiken dar. Die Kunst- und Lyrikproduktion der Bewegung fuhrte, so die Autorin, zu einer Umwertung und Neuauslegung des konkret-konstruktivistischen Gedankenguts der europaischen Avantgarden des fruhen 20. Jahrhunderts. Diese Umwertungen schufen in Brasilien erst die Voraussetzungen dafur, haptische und sensorielle Komponenten asthetischen Erlebens zum zentralen Ausgangspunkt kunstlerischer Praxis zu erheben, fur welche die spateren Arbeiten der brasilianischen Avantgarde-Ikonen Lygia Clark und Helio Oiticica bekannt sind. Die Arbeit ist ein wichtiger Beitrag dazu, moderne und zeitgenoessische kunstlerische Praktiken aus Brasilien zu dekolonisieren, denn die Analysen zeigen auf, dass haptisch und plurisensoriell erfahrbare Kunstwerke aus Brasilien eben nicht auf einer angenommenen genuin sensorisch-sensiblen Konstituierung des Menschen in Brasilien beruhen, sondern vielmehr auf einer eigenwilligen, lokalen Rezeption europaischer Avantgardepraktiken.