Turner Prize 2011
Können meine Skulpturen träumen? So verwunderlich diese Frage scheint, Martin Boyce setzt noch eins oben drauf, nämlich »ob Skulpturen wie die Replikanten im Film Blade Runner mit einer künstlichen Intelligenz ausgestattet sind oder ob sie durch ihre Konzeption und Realisierung ein eigenes Leben erhalten«. Solche Fragen führen uns ins Zentrum eines überraschenden bildhauerischen Werkes, das der 1967 in Glasgow geborene und noch heute dort lebende Martin Boyce seit 2005 aus einem kubischen Alphabet fünfeckiger Formen für ein weit verzweigtes Modularsystem entwickelt. Die Formen, aus denen sich Lampenschirme ebenso wie Bodenplastiken, Außenskulpturen oder Telefonzellen zusammensetzen, hat Martin Boyce nach dem Zufallsfund eines Fotos von 1925 einer Baumskulptur aus Beton der Brüder Joël und Jan Martel entwickelt: »Ich legte Schnittformen flach auf den Tisch und stieß auf ein lineares Muster, das auf der Grundstruktur der Bäume beruht. Langsam begann ich, aus den wiederkehrenden Linien Buchstaben herauszulesen.« Und es ist nicht allein diese Gesetzmäßigkeit, die seinen Arbeiten zugrundeliegt und auf die der Erfolg von Martin Boyce mit seinen unverwechselbaren Skulpturen zurückzuführen ist, vielmehr gelingt es ihm etwa mit seiner Installation 2009 in einem venezianischen Pavillon auf der Biennale in Venedig, auch für ein breites Publikum unübersehbar, eine nahezu symbiotische Verzahnung von Innen- und Außenraum, abstrakter Plastik und Natur einfach zu bewerkstelligen. So kann es gut sein, dass Martin Boyce in erster Linie einem solch berührenden Arbeitsansatz den Turner Prize 2011 zu verdanken hat.