Der bedeutendste Vertreter der Stoa in Rom, Lucius Annaeus Seneca, der Erzieher Neros, hinterliess ein umfangreiches philosophisches Werk. Es enthalt bemerkenswerte theoretische Ausserungen uber die naturliche Veranlagung der Frau und das Verhaltnis der Geschlechter, eindrucksvolle Frauenportrats sowie zwei Trostschriften, die sich explizit an zwei Frauen richten. Das hier zutage tretende Frauenbild Senecas erscheint auf den ersten Blick zwiespaltig und inkonsequent. Die Untersuchung der einschlagigen Passagen, die traditionelles romisches Denken, stoische Lehre, padagogische Absicht und personliche Erfahrung spiegeln, zeigt aber, dass der Philosoph bei der Beurteilung des menschlichen Sittenverhaltens keine geschlechtliche, sondern eine graduelle Differenzierung vornimmt, die ethische Gleichheit von Mann und Frau, die Forderung nach gleicher Erziehung und Bildung vertritt und der Frau in demselben Masse wie dem Mann die Befahigung zukommen lasst, sich durch die Beschaftigung mit der Philosophie dem stoischen Ideal anzunahern."