Gui de Chauliac (1300-1368) gilt als der wichtigste Mittler zwischen der Medizin des Mittelalters und der Medizin der Neuzeit. Diese Rolle erwuchs Gui als einem umfassend informierten Arzt und Gelehrten und als einem didaktisch geschickten, systematisierenden Autor. Sein Werk, die »Chirurgia magna«, ein Kompendium zur Chirurgie, 1363 auf Latein verfaßt und im Anschluß in zahlreiche Sprachen übersetzt, stellte bis Ende des 17. Jahrhunderts eines der wichtigsten medizin-didaktischen Werke dar.
Mit der Edition der »Anathomie«, des ersten Traktats der »Grande Chirurgie« des Gui de Chauliac der Handschrift Montpellier Bibliothèque de la Faculté de Médecine n° H 184 [2. Drittel 15. Jahrhundert] wird zum ersten Mal dieser Teil der bekanntesten französischen Übersetzung ediert. Unter Beachtung des medizin-historischen Hintergrundes und unter Einbeziehung der Sprachen des gesamten mentalitätsgeschichtlichen Raumes, in den sich der Text bettet, erfolgt eine Untersuchung des gemein- und des fachsprachlichen Wortschatzes. Die Untersuchungsergebnisse erbringen zahlreiche frühe Belege von Wörtern und Bedeutungen der medizinischen Terminologie, die die Leistungen des Mittelalters im sprachschöpferischen und im medizinisch-fachlichen Bereich erhellen; sie erlauben Einblicke in den Zustand der französischen medizinischen Fachsprache im 13., 14. und 15. Jahrhundert.