Im zeitgeschichtlichen Klima von Kulturpessimismus und biologistischen Gesellschaftstheorien breitete sich um die Wende vom 19. zum 20. Jh. nicht allein in Deutschland rassentheoretisches Denken aus. Die Bevolkerungswissenschaft war damals - ahnlich wie heute - keine eigenstandige Wissenschaft. Sie wurde uberwiegend von Medizinern aber in zunehmendem Masse auch von Sozialwissenschaftlern betrieben und war - von den zeitspezifischen gesellschaftlichen Fragen der Zeit gepragt - vor allem an politischer Umsetzung ihrer Forschungsresultate interessiert. Unter dem Einfluss wachsender Probleme - Geburtenruckgang, Armut, Asozialitat, Uberfremdung - gerieten Theorien und praktische Massnahmen zur Volksgesundung ins Blickfeld. Eine an Erb- und Rassenhygiene einerseits und praktischer Bevolkerungspolitik andererseits orientierte Bevolkerungswissenschaft horte 1933 nicht auf, sondern erfuhr die gewunschte Anerkennung. Zu lange ist diese Entwicklung - im Ruckspiegel der Tabuisierung - fur unmoglich erklart worden."