Synesios von Kyrene (ca. 370 -413 n. Chr.) darf als Repräsentant der spätantiken griechischen Oberschicht im Imperium Romanum gelten. Er studierte Philosophie in Athen und Alexandria, er bekleidete in Kyrene wichtige Ämter, unter anderem als Bischof, wie es für Angehörige der grundbesitzenden Eliten üblich war. Als Intellektueller stand er im Spannungsfeld zwischen Christentum einerseits und paganer literarischer Tradition (man könnte sie als "Kultur-Hellenismus" bezeichnen) und (neuplatonischer) Philosophie andererseits. Sein schriftstellerisches Oeuvre, Briefe, Hymnen und Traktate, zeigt seine produktive Auseinandersetzung mit dieser Spannung. In diesem Band wird mit den "Ägyptischen Erzählungen" ein Text des Synesios in deutscher Übersetzung (erstmals seit 1835) vorgelegt und durch Essays zur Zeitgeschichte, zur Form der Allegorie und zu ägyptischen Elementen erschlossen, in dem der Autor seine Erlebnisse während einer Gesandtschaft in Konstantinopel am Kaiserhof mitteilt, die seiner Heimat eine Erleichterung der Steuerlast verschaffen sollte. Gewählt ist die Form einer allegorischen Erzählung, die Synesios als meisterhaften Literaten zeigt und den philosophisch überformten (ägyptischen) Osiris-Mythos mitteilt, in dessen Zentrum der Sturz des guten Regenten Osiris durch seinen finsteren Bruder Typhos steht. Neuplatonismus und "Ägyptische Weisheit" verschmelzen in der verrätselnden Form der Allegorie spätantiker Zeitgeschichte.