"Beim Erstbesuch finde ich die Mutter so vor, wie sie mir von ihrer Betreuerin beschrieben wurde. Sie ist geschädigt an Körper und Geist durch jahrelangen Alkoholmissbrauch. Alkoholisiert steht sie mir gegenüber und versteht mein Anliegen nicht. Sie lässt mich trotzdem in die Wohnung. Hier sieht es nicht ganz so schlimm aus, wie ich es bei Unterkünften von Alkoholikern gewohnt bin. Die Einflussnahme der Betreuerin ist erkennbar. Die Mutter beginnt zu verstehen, dass ich wegen ihres Sohnes gekommen bin. Gleichzeitig erklärt sie entschlossen, dass sie für das Kind keine Hilfe benötige, alles könne sie allein regeln.
Auf Händen und Knien kriecht ein kleines Geschöpf in das Zimmer. In der Dämmerung des Raumes kann ich nicht genau erkennen - das Kind? Jetzt, wo es die Mutter sieht, beginnt es schneller zu kriechen und animalische Laute auszustoßen. Es kriecht auf die Mutter zu und zieht sich an ihr hoch. Die Mutter freut sich, sie berührt das Kind aber nicht."
Jürgen Stiel wirkte sieben Jahre lang als staatlich bestellter Betreuer für behinderte Menschen. Sein erstes Buch vermittelt Einblicke in soziale Grenzbereiche, fragt nach der Fähigkeit sozialstaatlicher Bürokratie, wirksam zu helfen, und bündelt die Erfahrungen eines Lebens in Gestalt dieser spannungsvollen und anrührenden Dokumentation.