"Politische Straftater werden nicht ausgeliefert". Dieser Satz ist seit mehr als einem Jahrhundert im internationalen Auslieferungsrecht dem Grunde nach ebenso unangefochten wie im Detail und in der Anwendung umstritten. Aber obwohl die Auslieferungsausnahme bei politischen Delikten ob ihrer mangelnden Prazisierung schon kurze Zeit nach ihrer Einfuhrung in das ver- tragliche und gesetzliche Auslieferungsrecht erheblichen Zweifeln und Be- denken ausgesetzt war, gehort sie nach wie vor - und im wesentlichen unver- andert - zu den Standardklauseln der zwei- und mehrseitigen Auslieferungs- vertrage. Solange das "politische Delikt" - was immer darunter verstanden wurde - insgesamt gesehen eine begrenzte und begrenzbare Gefahr blieb, konnte sich die Staatenwelt aus der Erinnerung daran, daB lang ersehnte politische Veranderungen und die Gewahrung erster biirgerlicher Freiheiten oft nur un- ter Bruch der Strafgesetze ertrotzt werden konnten, den GroBmut leisten, po- litische Straftater vor der Auslieferung und damit auch oft vor jeglicher Straf- verfolgung zu bewahren.
Seitdem sich aber gewohnliche Kriminalitat immer haufiger mit politi- schen Zielsetzungen zu einem bisher nicht gekannten Deliktstypus verband, seitdem Gewalt ganz allgemein und in vielfaltigen Variationen zunehmend als zulassiges Mittel der politischen Auseinandersetzung gerechtfertigt wurde und seitdem die politischen Zielsetzungen oftmals nicht auf mehr, sondern auf weniger Freiheit gerichtet sind, ist dieser GroBmut nicht mehr so unpro- blematisch. Die politisch inspirierte Kriminalitat ist zu einer Allgemeinge- fahr geworden, nicht zuletzt durch die technischen Moglichkeiten, derer sie sich bedienen kann.