Obgleich dem Geheimnis und-der Geheimhaltung sowohl fur den Bereich sozialen All- tagsverhaltens als auch. in Organisationen und gesellschaftlichen Teilbereichen wie et- wa dem politischen oder dem Wirtschaftssystem eine wichtige Bedeutung zukommt, und Geheimhaltungsinteressen nicht gerade selten sind, wird dieses Thema in der neue- ren Soziologie nur sporadisch behandelt. Dass Geheimhaltungsphanomenen grundsatz- lich eine Relevanz fur soziales Verhalten zukommt, gehoert zwar zumindest seit den Arbeiten von Erving Goffman zu den soziologischen Allgemeinplatzen; ein genuin so- ziologisches Interesse an den Geheimhaltungsinteressen personaler und sozialer Sy- steme besteht jedoch kaum. Diese Diskrepanz zwischen sozialer und soziologischer Relevanz des Geheimnisses wird beispielsweise deutlich, wenn man den Umfang so- ziologischer Publikationen zu diesem Thema mit der Zahl deutscher juristischer Dis- sertationen vergleicht, die in den letzten Jahren zum Amts-, Berufs-, Post- oder Staats- geheimnis erschienen sind oder sie der Fulle dokumentarischer bzw. popularwissen- schaftlicher Arbeiten aus dem Bereich staatlicher Nachrichtendienste, industrieller Spionage sowie der Skandale in Politik, Wirtschaft oder Sport gegenuberstellt. Wahrend das Geheimnis vor allem in der alteren deutschen Soziologie eine gewisse Bedeutung gehabt hat und beispielsweise von Georg Simmel im Kontext seiner forma- len Soziologie oder von Wilhelm Stok innerhalb der Beziehungslehre Leopold von Wieses thematisiert wurde, liegen die wenigen neueren Arbeiten, die sich uberhaupt mit Geheimhaltungsphanomenen befassen, ausserdem eher am Rande der theoretischen Entwicklung der gegenwartigen Soziologie. Eine Durchsicht der wichtigsten vorliegenden Arbeiten macht deutlich, dass das Problem der Geheimhaltung bislang ausschliesslich interaktionistisch bzw. eher sozial- psychologisch angegangen wurde (I).