Die europäische Diskursethik und die lateinamerikanische Philosophie der Befreiung artikulierten Anfang der 70er Jahre das weitverbreitete Bedürfnis nach grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen. Inzwischen stoßen allerdings diskurstheoretische Vernunftmoralen und neomarxistische Befreiungsphilosophien nicht nur im postmodernen Denken auf tiefe Skepsis. Vor dem Hintergrund wachsender sozialer Ungleichheit in Nord und Süd und der zunehmenden Macht populistischer bzw. fundamentalistischer Strömungen scheint es gegenwärtig jedoch durchaus angebracht zu sein, mögliche Errungenschaften der Diskurs- und Befreiungsethik in einer präzisen und zugleich kritischen Auseinandersetzung mit ihren theoretischen Grundlagen zu rekonstruieren und damit vorschnellen Abschiedsreden nochmals ins Wort zufallen. In einer vorsichtigen, die universalistische Orientierung prinzipiell bewahrenden Rekontextualisierung der Moraltheorien von Karl-Otto Apel und Enrique Dussel werden einerseits Möglichkeiten für gegenseitige Korrekturen und Ergänzungen zwischen Diskurs- und Befreiungsethik, andererseits aber auch Perspektiven für eine interkulturell orientierte Ethik als Fundament einer Kritischen Theorie der globalen sozialen Frage analysiert.