Wie schon Monate zuvor in Deutschland boten auch die Berichte im Vorfeld der österreichischen Nationalratswahlen 2002 das Bild eines bis zur letzten Minute offenen dreifachen Wettrennens: hier zwischen SPÖ und ÖVP, FPÖ und Grünen und schließlich zwischen rechtem und linkem Lager. Die Kopf-an-Kopf-Inszenierung machte den sonst inhaltsarmen Wahlkampf spannend, wöchentlich erstellte Wahlprognosen legitimierten, das Rennen zwischen den politischen Parteien als knappes zu deuten. Am Abend des Wahltags dann die große Überraschung: Die ÖVP war mit 5 Prozent Vorsprung eindeutig stärkste Partei, Rot-Grün lag um 6 Prozentpunkte hinter den Regierungsparteien. Was war geschehen? Haben die befragten Wählerinnen und Wähler die Meinungsforscher in die Irre geführt, indem sie Antworten verweigerten oder Unentschlossenheit signalisierten? Sind die Fehlprognosen statistischen Schwankungsbreiten oder zu kleinen Stichproben zuzuschreiben? Diente die Sportmetapher gar einer gemeinsamen Inszenierung von Meinungsforschern und Medien im Streben nach Präsenz und Reichweite?
Die Veröffentlichung von Meinungsforschungsergebnissen gehört zum Standardrepertoire medialer Barbeitung von Wahlkämpfen. Die "Meinungsdemokratie" evoziert aber auch Kritik: Denn die veröffentlichte Meinung beeinflusst individuelle Entscheidungen, taktisches Wählen basiert auf "Wissen" durch Meinungsumfragen. Und die veröffentlichte Meinung steuert die Wahlkampfstrategien der Parteien. Dieses Buch beschreibt, wie Meinungsforschung das, was sie als öffentliche Meinung bezeichnet, erfragt und gestaltet: Die Hochrechnng von Antworten auf die "Sonntagsfrage" fokussiert die momentane Lage, bewirkt aber neuerlich Meinungsbildung. Einblicke in die Arbeitsweisen der Umfrageinstitute, ihre statistisch-methodischen Grundlagen und Belege für die vielfältigen Wirkungen entlarven öffentliche Meinung als eine Konstruktion, die durch Demoskopie hergestellt, durch Medien vermitelt und im politischen Raum wirksam wird.