In dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, die Entwicklung der Mundlichkeit-Schriftlichkeits-Problematik nachzuzeichnen. Beim Vergleich mundlicher und schriftlicher Traditionen ist der Wert der mundlichen Uberlieferung von der Volksliedforschung lange uberschatzt worden. Wahrend die Romantik im Volk den anonymen Urheber und Trager folkloristischer Traditionen sah und die Mundlichkeit generell zum Postulat der Folklore erhob, hat die philologisch-positivistisch orientierte Rezeptionsforschung des spaten 19. Jahrhunderts nachgewiesen, dass viele -Volkslieder- nichts anderes als popularisierte Kunstlieder sind und damit der Schriftlichkeit einen hohen Stellenwert eingeraumt. Die Produktions- und Rezeptionsprozesse sind jedoch viel komplexer und vielschichtiger, als man dies in der alteren Forschung angenommen hat. Der Popularisierungsprozess eines Liedtextes verlauft nicht eingleisig, sondern in permanenten Wechselbeziehungen zwischen schriftlich-literarischem Schaffen und mundlich-gedachtnismassiger Uberlieferung."