Das Ringen um eine moderne, sich positiv auch den Gedanken der Aufklarung stellende katholische Theologie hat im Wien des spaten 19. Jahrhunderts eines seiner Zentren gefunden. Zu den weitsichtigsten Denkern gehoerte der Philosophiehistoriker Vinzenz A. Knauer, ein Benediktiner des Wiener Schottenstifts. Er suchte letztlich die Zusammenschau zwischen neuscholastischer Theologie und der spekulativen Theologie A. Gunthers, die an zeitgenoessischer Philosophie anknupfte. Das Neue an der Theologie und Philosophie des Wiener Privatgelehrten A. Gunther zog ihn ahnlich in den Bann wie die spater aufkeimende Altkatholische Bewegung. Seine schoengeistige Ader brachte ihn, der auch uber Shakespeare arbeitete und eine Nachdichtung der Lieder des Anakreon vorlegte, in Kontakt mit dem Wiener Kreis um die Dichterin E. M. delle Grazie. So war sein Leben zwischen Philosophie und Dichtung, zwischen der Treue zur Kirche und der Freiheit des Denkens ausgespannt. Die Bedeutung dieser Arbeit liegt auch in der Veroeffentlichung des umfangreichen Quellenmaterials aus dem Nachlass Knauers, namentlich fur die Geschichte des Guntherianismus und des Altkatholizismus.