Ein gutes Verfahren, reine Mathematik kennenzulernen, ist - ein mathematisches Buch in die Hand zu nehmen und zu lesen. Es ist moglich, auf diese Weise in mathematisches Denken zu kommen ohne Reflexion iiber dies Denken. Aber da die Mathematik auch anwendbar ist, fiihren viele Wege von vorweisbaren Sachverhalten her zur Mathe- matik, und auf solchen Wegen sich der Mathematik anzunahern, mag um so wertvoller sein, als man dabei nach Mathematischem zu fragen lernt und fertige Theorien dann vielleicht besser wiirdigen kann. Bei einer solchen Annaherung stellen sich aber immer Gedanken iiber das Denken seiber ein und diese Gedanken haben ihre eigenen Gefahren. Sofern sie nur eine Annaherung vorbereiten, die dann in medias res fiihrt und die Mathematik so wie sie ist und sein solI zu W orte kommen laBt, ist alles gut. Aber Anleitungen machen um der Verstandlichkeit willen gern in einem Vorstadium halt, das sich womoglich noch als lebendig und dem reinen mathematischen Denken als iiberlegen anempfiehlt. Aus diesem Vorbezirk nahrt die Legende, das mathematische Denken der Neuzeit sei wesentlich von dem der Antike verschieden, ihre Lebenskraft. Fiir Nichtmathematiker, insbesondere solche mit philosophischen Neigungen, scheint diese Legende eine unwiderstehliche Glaubwiirdigkeit zu be- sitzen. Sie hii. ngt mit der Meinung zusammen, daB die neuere Mathematik die Anschauung als Quelle mathematischer Erkenntnis vernachlassige.