Gedichte wandern häufig vom einzelnen Blatt oder Brief in unterschiedliche Lyriksammlungen oder Romane, in denen sie aufgrund der veränderten Umgebung neue Bedeutung erlangen. Ähnliches geschieht, wenn die Kanzone aus dem altokzitanischen Sprachraum oder das Sonett von Sizilien aus in andere Regionen und Sprachen migrieren oder wenn Melodien von geistlichen Liedern neue weltliche Texte erhalten. Der Band untersucht solche lyrischen Migrationen in mediengeschichtlicher, praxeologischer und literaturwissenschaftlicher Hinsicht. Er fragt nach den Akteuren und Institutionen, die diese lyrischen Migrationen ermöglichen, und versucht zu ergründen, weshalb bestimmte Texte und Formen migrationsaffiner sind als andere. Dies geschieht aus einer historisch-konstellativen Perspektive anhand der Schwellenzeiten um 1300 und um 1800. Gefragt wird so auch nach Modellen, wie sich die Kontinuitäten und Diskontinuitäten lyrischer Formationen literarhistorisch gewinnbringend fassen lassen.