Der österreichische Schriftsteller und Diplomat Leopold von Andrian (1875-1951) wurde bislang vor allem als Autor eines Kultbuches des Wiener Fin de Siècle, "Der Garten der Erkenntnis", und als Freund Hugo von Hofmannsthals rezipiert. Die Auswahledition von Tagebucheintragungen, Essays, politischen Berichten sowie Briefen von und an Andrian beleuchtet allerdings die verschiedenen Felder, auf denen sich Andrian bewegte: seine Rolle als Akteur auf dem diplomatischen Parkett zwischen 1900 und 1918 in Rio de Janeiro, Athen, St. Petersburg, Bukarest und Warschau sowie sein kulturpolitisches Engagement als Intendant der k. k. Hoftheater. Die Konzeption einer rückwärts gewandten Österreich-Utopie als Gegenstrategie zum Nationalsozialismus, die der Monarchist und Legitimist nach 1918 entwarf und im französischen und brasilianischen Exil fortsetzte, zählt zu den bedeutendsten Arbeiten der Zwischenkriegszeit zum Themenkreis Österreich-Identität; nach 1945 wurden sie als Beitrag zum österreichischen Nationsbildungsprozess rezipiert. Die ausgewählten Texte sollen nicht nur die Gesamtpersönlichkeit Andrians und seine Einbettung in ein literarisches und diplomatisches Netzwerk darstellen, sondern auch der interessierten Öffentlichkeit neues Quellenmaterial zugänglich machen, das über die Person Andrians hinaus wertvolle Dokumente für die österreichische Politik-, Literatur- und Kulturgeschichte im internationalen Kontext, vom Wiener Fin de Siècle bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, liefert.