Es hat Epochen und Kulturräume gegeben, da führten die Jahreszeiten, der Clan, die Dorfgemeinschaft, der Stand, die Kirche und der Staat den einzelnen. Vom Platz, an dem man geboren war, gab es oft lebenslang kein Entrinnen. In einer Umgebung, in der Ordnungen als naturgegeben und Hierarchien (griechisch: "hieros" = "heilig" und "archein" = "herrschen") als heilig und gottgewollt anerkannt sind, stellt sich die Aufgabe der Selbstführung nicht. Der einzelne wird von außen geführt. Wenn sich Hierarchien aber zunehmend als unheilig und Ordnungen als änderbar erweisen, wenn alte Strukturen oder Maßstäbe sich überleben und fragwürdig werden, sinkt die Bereitschaft, sich durch sie führen zu lassen. Das war und ist kollektiv oft der Anlaß zu Revolutionen. Da sich aber gezeigt hat, daß auch Revolutionen die Menschen nicht wirklich befreien, sondern meist nur eine unheilige alte Herrschaft durch eine unheilige neue ersetzen, sinkt auch die Bereitschaft, sich überhaupt von außen führen zu lassen. Der einzelne erlebt sich statt dessen auf sich selbst zurückverwiesen und stellt sich die Fragen, wie er sich verhalten soll, wie er leben soll, was richtig und was falsch ist, heutzutage lieber selbst. Das eigene Verhalten und der eigene Weg werden so zum Problem und zur Aufgabe der Selbstführung.