Wenn man sich fiber den Mechanismus der vorgriechischen Mathe- matik einigermaBen Klarheit verschaffen will, so muB man zunachst den auBeren Apparat dieser Mathematik, d. h. die Rechentechnik ver- stehen. Fiir die ganze vorgriechische Mathematik ist es eigentiimlich, daB sie uns in allen ihren Texten nicht in allgemeinen Formeln oder geometrischen Beweisen Euklidischen Stiles entgegentritt, sondem nur durch zahlenmaBig vorgerechnete Einzelbeispiele. Man ist also schon aus auBeren Griinden veranlaBt, sich mit der agyptischen und babylo- nischen Rechentechnik auseinanderzusetzen, denn ohne sie zu kennen ist es gar nicht moglich, die Fragen der numerischen Behandlung einer Aufgabe von den sachlichen Methoden zu scheiden. Dariiber hinaus zeigt aber die nahere Untersuchung der vorgriechischen Mathematik, daB die tiefgehenden Unterschiede zwischen der 1igyptischen und der babylonischen Mathematik ganz wesentlich bedingt sind durch den Grad, in we1chem man das rein Numerische zu beherrschen verstanden hat. Es wird eine der wesentlichsten Aufgaben dieser Vorlesungen sein, zu zeigen, daB die volle Beherrschung aller numerischen Probleme die eigentliche Voraussetzung fiir das hohe Niveau der babylonischen Mathematik bildet, ebenso wie der Zustand der agyptischen Mathematik bedingt ist durch die eigentumliche Richtung, in der sich die agyptische Rechentechnik im Gegensatz zur babylonischen entwickelt hat. Fur die vorgriechische Mathematik ist also das Studium ihrer Rechen- technik ebenso wesentlich wie die Kenntnis der eigentiimlichen "geo- metrischen Algebra" fur das Verstandnis etwa der Archimedischen Integrationsmethoden oder der griechischen Theorie der Kegelschnitte. Es betrifft also wirklich die Grundlagen der vorgriechischen Mathe- matik, wenn wir uns zunachst mit ihrer numerischen Methode ver- traut machen.