Das 'Buch des Lebens' ( Sefer ha-Hayyim) wird seit Gershom Scholems Erforschung der judischen Mystik im europaischen Mittelalter dem Grenzbereich zwischen 'Ursprung und Anfangen der Kabbala' und dem Wirkungskreis des esoterischen Schrifttums der 'deutschen Frommen' ( haside ashkenaz) zugerechnet. Die vorliegende Ausgabe enthalt neben der ersten vollstandigen kritischen Edition auch eine kommentierte UEbersetzung sowie eine Diskussion zu Fragen der Datierung und Autorschaft dieses anony- men Werkes. Dabei werden sowohl die Entstehungsbedingungen in der christlich gepragten Umwelt Nordfrankreichs als auch die un- mittelbare Wirkungsgeschichte des Sefer ha-Hayyim im judischen Kontext berucksichtigt. Gerold Necker analysiert das programmati- sche Inhaltsverzeichnis des Sefer ha-Hayyim, bei den haside ashkenaz prominente Themen wie die Lehre von der goettlichen Herrlichkeit ( torat ha-kavod) sowie ein fur das Sefer ha-Hayyim typisches Gleichnis. Er zeigt, dass sich das 'Buch des Lebens' nicht nur durch die eigen- willige Behandlung zeitgenoessischer religioeser Probleme, sondern insgesamt durch seine neuplatonischen Tendenzen nachdrucklich von anderen Schriften der haside ashkenaz abhebt. Die Zuordnung des Sefer ha-Hayyim zu nordfranzoesischen Tosafisten-Kreisen des be- ginnenden 13. Jahrhunderts korrigiert schliesslich die Vorstellung von einer den deutsch-nordfranzoesischen Kulturraum dominieren- den Bewegung der haside ashkenaz.