Von Beginn der reformatorischen Selbstvergewisserung der Wittenberger Theologen an spielt die normative Legitimation reformatorischer Theologie über den Weg des historischen Arguments eine tragende Rolle bei der Herausbildung einer evangelischen Identität. Theologische Sachdebatten, aber auch Polemik und Kontroversen führten zur theoretischen Vertiefung der historischen Bemühungen um Legitimation. Als wesentlicher Faktor dieses Vorgehens erscheint der Nachweis des Alters der eigenen Bewegung, die, je näher sie sich der Zeit Jesu und der ersten Apostel bringen lässt, nachhaltig die eigene konfessionelle Identität nach innen wie nach außen stärker zu rechtfertigen suchte.Das im Werk des Matthias Flacius Illyricus ausgefeilte Konzept der sog. evangelischen Wahrheitszeugen steht exakt im Horizont des historischen Programms der Wittenberger Reformation. Seit den Anfängen einer Idee der Legitimation über als ‚reformatorisch' verstandene Leitfiguren oder Schlüsseltexte der Theologiegeschichte im Denken Martin Luthers, erfuhr der zunächst lose und punktuelle Rückbezug auf so erkannte ‚Vorläufer' der eigenen Sache immer neue Transformationsstufen vor dem Hintergrund der je aktuellen theologischen Entwicklungen. Stefan Michels entwickelt so den Wahrheitszeugendiskurs von Luther über Philipp Melanchthon und Georg Major bis zu Matthias Flacius neben seiner historiographischen Funktion aus den Zusammenhängen und Entwicklungen der Wittenberger Theologie heraus. Dabei spannt er einen Bogen von den ersten Drucken der von Luther sog. ‚Theologia Deutsch' bis zur zweiten Auflage des Wahrheitszeugenkataloges von Matthias Flacius im Jahr 1562.