„Das Leben zu erkennen“ (II,5,112) bestimmt Fichte als Gegenstand der „Wissenschaftslehre“ (1794 ff.). Die Aufgabe der Philosophie besteht für ihn nicht darin, „durch die Kraft (der) Syllogismen neue Objekte des natürlichen Denkens“ (II,5,112) zu erschaffen. Er gewichtet seine Philosophie dergestalt, daß sie „das Leben, das System der Gefühle und das Begehren zum Höchsten (macht) und ... der Erkenntnis überall nur das Zusehen (läßt)“ (II,5,137). Die herausragende Stellung des Gefühls besteht darin, daß es einerseits als begrifflich explizierbarer Teilaspekt der Reflexionen über
die Grundbedingungen der unterschiedlichen Bewußtseins- bwz. Lebensformen des Menschen selbst Bestandteil der „Wissenschaftslehre“ ist und daß es andererseits zugleich als die ausgezeichnete Weise der Selbstmanifestation dieser Lebensformen zu bestimmen ist, deren Genese in der „Wissenschaftslehre“ rekonstruiert wird. Fichte entwickelt im System der „Wissenschaftslehre“ eine weitreichende und complex strukturierte Theorie des Gefühls, die die Bereiche des theoretischen und praktischen, sinnlichen, intellektuellen und intelligiblen Lebens umfaßt. In einem systematisch
angelegten Untersuchungsstrang werden Genese, Stellenwert und Funktion des Gefühls in der „Wissenschaftslehre“ und ihren Teildisziplinen entwickelt. In historischer Hinsicht wird Fichtes Lehre vom Gefühl im Kontext der zeitgenössischen Diskussion (Kant, Jacobi u.a.) erörtert. Systematische und historische Zielsetzungen werden parallel aus einer entwicklungsgeschichtlichen Perspektive entfaltet. Im Ausgang von den Jugendschriften bis zur „Wissenschaftslehre 1801“ wird der Begriff des Gefühls in seinen pädagogischen, erkenntnistheoretischen, moralischen und religiösen Bedeutungen untersucht.