Den drei Theaterstücken von Lenz, die in diesem Band vorgelegt werden, ist ein Wesenszug gemeinsam: Sie spielen unter der Zwangsherrschaft einer Diktatur und decken - auf sehr unterschiedliche Weise - ihre Mechanismen auf; sie brandmarken den Zynismus im Verhältnis der absoluten Macht zum Machtlosen, der Herrschenden zum Beherrschten, der Obrigkeit zum Untertan.
In "Zeit der Schuldlosen" sind es neun unbescholtene Bürger, die sich auf Befehl des "Gouverneurs" plötzlich der Schuld ausgesetzt finden. Die Schuld an einem Verbrechen, zu dem sie genötigt werden, und das nur einer von ihnen begangenen haben kann, trifft sie alle - ohne Unterschied der Person und in gleichem Maß. "Das Gesicht" führt den Gedanken weiter. Der Friseur Bruno Deutz sieht dem "Präsidenten" so täuschend ähnlich, daß dieser ihn - für den Fall eines Attentats - zu seinem Double bestellt. Doch es zeigt sich: auch der augenscheinlich harmlose Kleinbürger weiß die Instrumente der Diktatur zu gebrauchen - die Repräsentanten der Macht sind austauschbar. Einen Testfall bringt auch "Die Augenbinde" auf die Bühne: Teilnehmer einer Expedition geraten in ein Dorf, für dessen Einwohner es Gesetz ist, blind zu sein. Die Alternative - Unterwerfung unter das Gesetz oder furchtlose Behauptung der Freiheit - führt zu einer gnadenlosen Prüfung der Sehenden: das Schauspiel als Parabel. In der Auseinandersetzung mit den Problemen von Macht und Schuld prüft Siegfried Lenz den Menschen; er erprobt seine Anfälligkeit gegenüber den Versuchungen der Macht und seine Standfestigkeit in Situationen, in denen die Schuld Gewissen wachruft.
"Die Station Theater", so schrieb Johannes Jacobi in der Zeit, hat bestätigt, daß in dem Erzähler Lenz ein Bühnentalent nach Entfaltung drängt. Die Fähigkeit, Dialoge zu schreiben, szenische Spannung mit einem Mindestmaß an Aktion zu erzeugen und die innere Dynamik mit sprachlichen Mitteln ständig zu steigern - das sind zweifellos Eigenschaften eines Dramatikers. "