Zentrale These der Texte ist: dass die Koexistenz gegengesetzter Zustande ein Kennzeichen alles Menschlichen ist und immer war: wir sortieren die Welt nach warm und kalt, nach oben und unten, hinten und vorn, rechts und links. Schon unsere visuelle Weltwahrnehmung verlauft nach dem Muster eines Ich, das im Zentrum von Polaritaten steht.
In viele Dokumente ist dieses Bewusstsein eingeflossen: die Erfahrung der Identitat dessen, was sich ausschliesst, reflektiert der Odipus des Sophokles. Der Held ist Suchender und zugleich Gesuchter. Ebenso: in Lessings 'Nathan' sind jene, die sich so sehr lieben, auch Geschwister. Oder: in Kleists 'Zerbrochenem Krug' ist der Richter zugleich der Tater. Langere Analysen von Dichtungen sind in diesem Buch aber nur eingestreut; es geht in erster Linie darum, ein Lesebuch mit kurzen Textstucken zu machen, die als Bilder gelten wollen, die jeweils die zentrale These aus unterschiedlichen Richtungen kurzweilig beleuchten."