Kruzifix, Kopftuch, Karikaturen - drei Stichwörter, die stellvertretend für eine Entwicklung der letzten Jahre stehen können: zu beobachten ist eine deutliche Zunahme öffentlicher Auseinandersetzungen um die Stellung der Religion in der Gesellschaft. Offenbar ist das Modell der demokratischen Gesellschaft, die die Religion auf den Status einer primär privaten Angelegenheit reduzieren möchte, an eine Grenze gelangt. Insbesondere durch den Islam, aber auch durch christliche Konfessionen wird wieder vehement eine verstärkte Berücksichtigung religiöser Verhaltensmaßstäbe auch in anderen Gesellschaftsbereichen wie Recht und Politik eingefordert. Auf die grundsätzliche Bewältigung daraus resultierendener Probleme ist die deutsche Rechtsprechung jedoch schlecht vorbereitet. Unter Rückgriff auf ein historisch wie theoretisch unzureichend reflektiertes Toleranzkonzept und eine allgemein postulierte, aber kaum näher ausgeformte Neutralitätspflicht des Staates verbietet sie sich selbst differenzierte Betrachtungen, die über die bloße Abwägung im Einzelfall hinausgingen. Generelle und strukturelle Probleme, insbesondere im Hinblick auf die Rolle des Islam in der modernen Gesellschaft, bleiben damit ausgespart. Ausgehend von einer Darstellung der Situation der Religion in der modernen Gesellschaft sowie einer genauen Analyse ausgewählter durch die Rechtsprechung entschiedener Fälle zeigen Karl-Heinz Ladeur und Ino Augsberg, wie das komplexe Spannungsverhältnis von Staat, Gesellschaft und Religion zwar nicht dauerhaft aufgelöst, aber doch im Sinne eines dynamischen neuen modus vivendi redimensioniert werden könnte.