Bekannt geworden ist das Werk von J.M.R. Lenz (1751-1792) durch seine Dramen. Seine Gedichte dagegen sind weitgehend unbekannt geblieben; zudem reduziert die Forschung diese Gedichte meist auf autobiographische Dokumente und grundet ihre Aussagen auf Texte, die dem heutigen Stand der Editionsphilologie nicht entsprechen. Unter welchen Bedingungen sich in den Gedichten burgerlicher Anspruch auf Individualitat herausbildet, warum er schon bald emphatisch eingeklagt wird und schliesslich nur in der Erfahrung des Scheiterns noch aufrechtzuerhalten ist, macht der Vergleich mit dem sozial- und literaturgeschichtlichen Kontext deutlich. Die Texte von Lenz sind Gegenmodelle: Kontrafakturen zu Goethes Erlebnislyrik und Hymnendichtung, zum Genie-Kult des Sturms und Drangs, zu den optimistischen Entwurfen empfindsamer und anakreontischer wie zur melancholischen Regression petrarkistischer Literatur."