issenschaftlicher Fortschritt, so mochte man mei- nen, dokumentiert sich heme vor aHem in der Spezialisierung. Er kann sich aber auch, solchen Tendenzen trotzend, im neugierigen Blick tiber die engeren Fachgrenzen hinaus manifestieren. In- ter- und Transdisziplinaritat sind angesichts der zeitgenossischen Vernetzung unterschiedlichster wissenschaftlicher Disziplinen das Gebot der Stunde. 1m Konzen der wechselseitigen ErheHung der Wissenschaften kommt der Verbindung von Psychia- trie und Literatur eine herausragende Bedeutung zu. So sind die iiltes- ten Zeugnisse von Literatur immer auch schon von erheblichem psychiatrischem Interesse. Das mag zum einen an der Sonder- begabung der Literatur liegen, im IndividueHen das Allgemeine er- kennen, benennen und ins Gleichnis heben zu konnen, was sonst nackte Zahl oder Zuordnung suchende statistische GroBe bliebe. Zum anderen Freilich ist es das genuine Interesse von Literatur und Psychiatrie gleichermaBen, das (Psycho-)Pathologische in Ursprung, Verlauf und Auswirkung zur Sprache zu bringen. Die allmahliche Annaherung von Literatur und Psychiatrie tiber die Jahrhunderte hinweg hat schliemich sogar dazu geftihrt, etliche psychiatrische Fachbegriffe aus der Literatur zu entlehnen oder un mittel bar darin auf sie Bezug zu nehmen. Man denke nur an den Wenher-Effekt oder das Kohlhaas-Syndrom. Und noch etwas ist beiden scheinbar einan- der so fremden Disziplinen gemeinsam: ihr hermeneutischer Anteil.