Die Geschichte der medizinischen Ethik ist so alt wie die Medizin selbst. Vom Hippokratischen Eid spannt sich ein weiter Bogen bis zu den heutigen ethischen Richtlinien, die von den jeweiligen medizinischen Akademien herausgegeben werden. Diese Richtlinien koennen jedoch nur einen ungefahren Rahmen bieten fur die Vielzahl von Situationen, bei denen eine wurdige und individuell adaquate Loesung gefunden werden muss. Die vielschichtige Problematik, die primar die Frage einschliesst, wer uberhaupt ethische Entscheidungen zu treffen hat, und erst sekundar, wie zu entscheiden ist, kann niemals im Rahmen der vorliegenden Arbeit auch nur annahernd vollstandig behandelt werden. Es wird jedoch der Versuch unternommen, anhand ausgewahlter Problemkreise diejenigen Fragen anzugehen, die in den letzten Jahren besonders im Mittelpunkt des Interesses standen. Es uberrascht nicht, dass es sich oft um Fragen handelt, die schon seit Jahrhunderten auf eine definitive Loesung warten. Virchows Forderung die Moral als eine empirische Wissenschaft nach den Regeln zu entwickeln, die die allgemeine Naturwissenschaft konstituiert hat, wird wohl nie zu realisieren sein. Dies ist jedoch kaum besorgniserregend, denn es ist nicht vorstellbar, wie eine absolut gesetzte, empirisch gewonnene Ethik den individuellen Bedurfnissen des Patienten gerecht werden kann. Ausserdem schliesst eine solche Moralauffassung die Moeglichkeit eines heteronomen, d. h. von Gott gegebenen oder von einem hoeheren Prinzip abgeleiteten Sittengesetzes aus. Auffallend ist das eindeutige UEberwiegen von Publikationen des angelsachsischen Kulturkreises, obwohl die medizinische Ethik im deutschsprachigen oder romanischen Sprachraum keine geringere Berechtigung hat.