Zu dem Thema, das im Folgenden behandelt wird, habe ich zweimal in der Geisteswissenschaftlichen Klasse der Nordrhein-Westfalischen Akademie der Wissenschaften vorgetragen, in jeweils abgewandelter Perspcktive. 1m vorlie- genden Text sind beide Vortrage zusammengefaGt, wobei Wiedcrholungen zu beseitigen waren. Andererseits sind Erganzungen zugefugt, insbesondere der Ruckblick auf die Vorgeschichte, die im mundlichen Vortrag nicht mehr Platz finden konnten, und auGerdem sind Diskussionsbeitrage berucksichtigt, die im AnschluG an beide Vortrage gebracht wurden. Diese Erweiterungen sollen nicht den Charakter eines Vortrages and ern, der sich an ein gelchrtes, aber nicht ein spezialistisches, sondern interdisziplinar zusammengesetztes Auditorium wendet. Bei dies em darf man eine fundierte Allgemeinbildung voraussetzen, welche unter dem Titel "Naturrecht" auch eine Vorstellung von der bedeutenden Rolle des Thomas von Aquin fur diese Doktrin umfaGt. Freilich ist diese Vorstellung zumeist durch das Bild eines Thomismus der Schule gepragt, der Thomas durchgehend "metaphysisch" las, der das "Sollen" aus dem "Sein" begrunden wollte, und dies nicht zuletzt unter dem Eindruck der neuzeitlichen Naturrechtslehren. Hier setzte vielfach die Kritik an, aber es gab auch eine Anhangerschaft, die in einem metaphysisch gesicherten Naturrecht eine Kontrollinstanz gegen eine positivistische Rechts- praxis sah. Erstaunlich ist, daG eine solche Vorstellung immer noch recht ver- breitet ist, obwohl es seit Jahrzehnten eine Forschung gibt, die ein wesentlich modifiziertes Bild von der authentischen Doktrin des Thomas von Aquin erarbeitet hat.