Die Katechetik des 19. Jahrhunderts steht im Ruf, eine kirchlich dominierte, theologisch verengte und pädagogisch unreflektierte Disziplin zu sein. Dieses Urteil wird jedoch der im Rahmen der protestantischen Universitätstheologie gelehrten Katechetiktheorie und eingeübten Unterrichtspraxis nicht gerecht. Als wichtiger Teilbereich der Praktischen Theologie war die universitäre Katechetik vielmehr der Ort, an dem angehende Geistliche differenziert auf ihre Rolle als Religionslehrer in Schule und Gemeinde vorbereitet wurden. Am Beispiel des 1817 begründeten Jenaer katechetischen Seminars rekonstruieren die Autoren auf der Basis umfangreicher Archivquellen die Praxis akademischer Religionslehrerbildung über einen Zeitraum von 100 Jahren hinweg. Charakteristisch für die Jenaer Praktische Theologie war ein liberales Religions- und Kirchenverständnis, das sich im Engagement prominenter Fachvertreter auch im Umkreis der katechetischen Bildung vielfältig niederschlug. Die über einen langen Zeitraum lückenlos erhaltenen Seminarprotokolle dokumentieren den langsamen Wandel der Unterrichtsstandards, die Bedeutung der Sokratik im Lehrbetrieb, den Einsatz von Katechismuslehrbüchern und die Integration exegetischer und historischer Fragestellungen in den kindgerechten Unterrichtsaufbau. Besondere Aufmerksamkeit schenken die Autoren den herbartianischen Reformpädagogen Karl Volkmar Stoy, Wilhelm Rein und Ernst Thrändorf, die im 1843 gegründeten pädagogischen Seminar eigene Konzepte des Religionsunterrichts entwickelten und im engen Austausch mit der Theologischen Fakultät standen. Jena wurde auf diese Weise nach 1900 zu einem Zentrum der Diskussion um die Reform des Religionsunterrichts.