Rituale und Tabus dienen in allen Gesellschaften zur Regulierung von sozialem Handeln, insofern sie Erwartungen uber Ordnungsmuster und Verhaltensschemata festigen sowie Sanktionsmechanismen fur regelwidriges und regelkonformes Verhalten bereitstellen. Die Regeln fur Rituale und Tabus indes sind nicht immer leicht und allgemein zu formulieren, denn sie koennen nicht nur in hohem Masse von Kultur zu Kultur variieren, sondern auch innerhalb einer Gesellschaft gibt es hochgradig gruppen- und situationsspezifische Unterschiede. Insoweit Rituale und Tabus sprachlich sedimentiert und Gegenstand asthetischer Modellierung sind, finden sie auch in den Textwissenschaften zunehmend Beachtung. Wahrend Interaktionsrituale heute etablierter Gegenstand der Linguistik sind, bleibt die Untersuchung gerade von verbal manifestierten Tabus weiterhin Desiderat der Sprach- und Kulturwissenschaften im Allgemeinen sowie wie der interkulturellen Germanistik im Besonderen. Rituale als zugleich traditionsbildende und ordnungsschaffende routinisierte Handlungen und Tabus als zugleich selektiv wirkende und mit Sanktionen belegte Handlungen, sind symptomatisch fur spezifische kulturelle Identitaten und fuhren im Falle von unterschiedlicher kultureller Pragung zu einem besonders starken Fremdheitserleben. Lerner einer fremden Sprache sollten daher nicht nur fur die Tabus der Eigen- und Fremdkultur sensibilisiert werden, sondern auch ein Arsenal an Reparaturmechanismen und Kompensationsstrategien an die Hand bekommen, um im Falle einer Tabuverletzung dem Abbruch der Kommunikation entgegensteuern zu koennen. Dies aber fuhrt zu der Frage, welche sprachlichen Mittel eine Bewaltigung bzw. im Vorhinein eine Vermeidung von Tabus ermoeglichen. Dazu kann auch die verstandige Lekture ihrer literarischen Problematisierung fruchtbar beitragen.