Die Forschung zur Tragödie der Klassischen Moderne ist nicht nur dünn, sie bewegt sich auch innerhalb überraschend konstanter Rezeptionsbahnen: Tragödie und Moderne seien unvereinbar, ihre Verbindung paradox und eine literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung somit auch nicht lohnenswert.
Diese scheinbar einfache Erzählung, die sich spätestens mit Peter Szondis Theorie des modernen Dramas von einer Diskurs- zu einer Forschungskonvention verhärtet, verdeckt jedoch die Komplexität der zeitgenössischen Gemengelage – sowohl in Hinblick auf die tragödientheoretischen Überlegungen der Zeit als auch die dramatische Produktion. Die vorliegende Studie fordert diese Grundannahme heraus und weist Tragödie und Tragödientheorie am Beispiel von zeitgenössischen Texten der Theateressayistik und dramatischen Texten von Henrik Ibsen, Frank Wedekind und Hugo von Hofmannsthal als zentralen Verhandlungsort für die Programmatik der frühen Moderne aus, gebündelt in der Inversionsfigur der Entbindung.
Ermöglicht wird so nicht nur ein vollkommen neuer Blick auf die Dramenproduktion und Theaterpraxis der Wende ins 19. Jahrhundert, sondern gleichzeitig die Geschichte der deutschsprachigen Moderne neu erzählt.