Im ersten Teil dieses Buches werden 16 Erzählungen Cechovs so gründlich untersucht, wie deren Länge und Komplexität es erfordert. Das geschieht auf drei Ebenen. Die thematische Ebene wird auf Defizite realistischer Motivierung sowie auf die wichtigen, aber bislang wenig behandelten Themenbereiche Sexualität und Religion befragt. An künstlerischen Verfahren wird neben Parallelismen und Leitmotiven der Symbolik besondere Beachtung geschenkt. Auf der Ebene des Sinns geht es vor allem um die Sinnerwartung der Figuren innerhalb der fiktiven Welt und der Leser angesichts dieser Welt.
Zwischen den Wegen der fiktiven Helden und der impliziten Leser zum Sinn gibt es Parallelen. Beiden bietet die Welt bzw. der Text keinen positiv orientierenden Sinn an. Aus diesem Defizit entspringt existenzieller Sinn, den die Helden durch Hoffnung, die Leser durch symbolische Assoziation erschaffen müssen.
Im zweiten Teil wird der Weg zu diesem anderen, impliziten Sinn nachgezeichnet. Er führt von der Selbstverständlichkeit des Sinns in der Alltagserfahrung, der der Realismus entspricht, über die Vernichtung des Sinns in den Mechanismen des Lebens (Naturalismus) und die Nichtigkeit der Wirklichkeit (Impressionismus) zur Geburt des Sinns aus der Hoffnung im Symbolismus. Damit erweist sich zugleich Cechovs Übergangsstellung zwischen Realismus und Moderne als Schlüsselposition für die literarische Sinnkonstitution.