Claudio Franzius stellt die Frage, wie das europäische Verfassungsrecht auf der Grundlage des Vertrags von Lissabon gedacht werden kann. Dabei lenkt er den Blick auf grundlegende Begriffe, wie Verfassung, Demokratie und Legitimität, die einem bestimmten historischen Kontext entstammen und dazu verwendet werden, das staatliche Gemeinwesen "in Ordnung" zu bringen. So gesehen ist Verfassungsrecht staatsbezogenes Recht und das Recht des europäischen Verfassungsstaates eine zivilisatorische Errungenschaft der Moderne. Da die Europäische Union aber kein Staat ist und nach dem Willen der Unionsbürger auch nicht werden soll, stellt der Autor die Frage, ob die herkömmlichen staatstheoretischen Grundbegriffe überhaupt angemessen sind. Claudio Franzius betont, dass solche Begriffe nicht verabschiedet werden können, sondern vielmehr auf ein nicht-staatliches Gemeinwesen bezogen werden müssen. Leitgedanke ist dabei die Erosion einer Gegenüberstellung von Staat und Nicht-Staat oder von Verfassung und Nicht-Verfassung. Soll die Verfassung bewahrt werden, so der Autor, muss sie europäisch gedacht werden, als ein Gemeinwesen, das nicht im Sinne eines "entweder-oder" konstruiert ist, sondern nationale und supranationale Elemente in wechselseitiger Komplementarität transnational verfasst. Dadurch kann es keine europäische Verfassung jenseits der nationalen Verfassung geben wie es umgekehrt keine nationale Verfassung gibt, die gegenüber dem Europarecht in eine Abwehrposition gebracht werden könnte.