Im staats- und verfassungsrechtlichen Sinne versteht man unter Säkularisierung die prinzipielle Trennung von Staat und Kirche, den Prozess der Durchsetzung umfassender Religions- und Weltanschauungsfreiheit und der Abkoppelung der Autorität des Rechts von der Autorität des Glaubens. Die Wahrheitsfrage wird privatisiert, der religiös-weltanschaulich neutrale Staat koppelt sich von bestimmten Glaubenssätzen ab. Doch nicht zuletzt vor dem in allen geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen vieldiskutierten Befund einer Rückkehr der Religion erhebt sich eine gewichtige Frage: verbirgt sich womöglich in diesem modernen, säkularen Staatswesen eine religiöse Substanz, ein sakraler Kern? Horst Dreier geht dieser Frage nach, indem er die Prägekraft des christlichen Rechtserbes ebenso untersucht wie die vielzitierte Sentenz von Carl Schmitt, der zufolge alle prägnanten staatsrechtlichen Begriffe nur säkularisierte theologische Begriffe seien. Auch prüft er die Behauptung, die Menschenwürde sei ein Derivat des Christentums, und unterwirft die verschiedenen Konzepte einer Zivilreligion sowie die jüngst erhobene These von der Sakralität der Person einer kritischen Analyse. Sein Ergebnis: Der freiheitliche Verfassungsstaat muss auch die Wiederkehr des Religiösen säkular verwalten. Er bedarf keiner sakralen Aura und keines Mythos. Um seine ratio zu verstehen, müssen wir weder vom Fortwirken des Heiligen im politischen Gemeinwesen ausgehen noch dessen Bürger mit dem Attribut der Sakralität versehen oder hinter fundamentalen Rechtsgarantien sogleich etwas Numinoses vermuten. Die Trennung von Politik und Religion ist und bleibt die Basis der Freiheitlichkeit des politischen Gemeinwesens.