Seit der Ausstellung ihrer Fotografien 1985 in Birr erscheint Mary - Gräfin von Rosse, Gemahlin des 3. Graf - als eine Person mit eigenem Anspruch. Die entzückend komponierten Gruppen zeigen, wie ihre Kinder aufwuchsen: skeptisch dreinschauende Jungs, "eingeknöpft" in ihre beste Garderobe und ihre hübschen, jungen Cousinen mit weichem, leuchtendem Haar, die ins Bildzentrum arrangiert wurden wie Heldinnen in einem Brontë-Roman. Alle diese geschickt arrangierten Gruppen - zusammen mit den brillanten Porträts, einige von ihnen stammen noch aus dem 18. Jahrhundert - zeigen eine menschliche und leidenschaftliche Arbeitsauffassung und eine erfindungsreiche, meisterhafte Beherrschung der Technik. Diese Fotos und der Blick auf die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts durch ihre Kamera ließ viele Leute über die Frau hinter dem Objektiv staunen. Vor allem David H. Davidsons gab mit seinen Nachforschungen Aufschluss darüber, dass Mary tatsächlich eine Frau mit vielen Talenten war. Wenn sie nicht eine große Fotografin geworden wäre, so würde es mich nicht wundern, wenn trotzdem mehr aus ihr geworden wäre als nur die "Frau des Teleskop-Grafen". Ihre Gegenwart ist hier im Schloss sehr stark fühlbar. Besonders der Speisesaal erinnert mich an sie, und nicht nur, weil ihr Porträt gütig von der Wand blickt. Es ist ein gewaltiger Saal (45 Fuß) mit einem großen gotischen Fenster und meterweise schweren Brokatvorhänge, gehalten von großen Schmuckkordeln. Alles, was sie entwarf oder baute, besitzt einen großen Maßstab; die Türen selbst sind massiv, bis hin zu den Details der "Ei und Pfeil-Verzierungen" um die Auflager der Säulen. Die heraldische Anrichte gegenüber dem Fenster, die sie zum Andenken an ihre Hochzeit anfertigen ließ, ist so schwer, dass sie nur an dieser Stelle aufgebaut werden konnte. Eine zeitgenössische Rechnung belegt ihre Gastfreundschaft, sie gab große Mittagessen und Abendgesellschaften für über 60 Personen. Dabei benutzte man das Weinlaub-Service, welches die Gräfin 1851 aus der großen Ausstellung bekam. Viele Gäste haben auch im Haus übernachtet. Manchmal versuche ich mir vorzustellen, wie es gewesen sein muss, als die Suppe serviert wurde und die Wolken aufrissen. Legten ihr Mann und die anwesenden Astronomen sofort ihre Löffel nieder und verließen, ihre wärmsten Mäntel zuknöpfend und nach den Hüten greifend, den Speisesaal, nur um zum Teleskop zu eilen? Ich denke nicht. Unter dem umsorgten Blick von Mary Rosse werden sie die Tafelfreuden weiter mit Witz und Gesprächen genossen haben, bis der letzte köstliche Pudding aufgegessen war. Es gibt keinen Zweifel, dass Mary Rosse "groß" dachte. Manchmal könnte ich verzweifeln, wenn ich an den viktorianischen Flügel denke, den sie anbauen ließ, der jedoch das Licht vom Flankenturm aus dem 17. Jahrhundert fernhält. Sie brauchte wohl dringend diese enormen Kinderzimmer, von denen sie die Stadt aus überblicken konnte, und die hohen Schlafzimmer der oberen Etage, voll mit den Kindern, den Erziehern und Freunden und Gästen aus der ganzen Welt. Es ist möglicherweise sehr anstrengend, sich all die Projekte und Baumaßnahmen in und um das Schloss herum, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts stattfanden, vorzustellen. Mary Rosse muss neben viel Energie und einem guten Organisationstalent auch kreatives Geschick und eine große Vorstellungskraft besessen haben. Aber wenn sie sich vom Bauen und Entwerfen hin zum Beobachten, Aufzeichnen und Festhalten wandte, kam dieses Geschick sich selbst zugute: Wir sind ewig dankbar für die zauberhaften Einblicke, die sie uns in unsere eigene Vergangenheit erlaubt. (A. R. Birr Castle, Oktober 1986) Der Engelsdorfer Verlag legt nunmehr innerhalb seiner Pernobilis Edition das wertvolle Buch "Impressionen einer irischen Gräfin" von David H Davidson in einer deutschen Übersetzung durch Reinhart Kevin Axt vor.