Trotz seines Fragmentcharakters hatte Louis Althussers Aufsatz "Ideologie und ideologische Staatsapparate" aus 1970 eine lange Wirkungsgeschichte. Nicht zuletzt wurde er zu einem der Basistexte der sogenannten "Kulturwissenschaften".
In ihrer Lektüre versteht Isolde Charim diesen Text zugleich als Fragment und Primärtext. Ein Fragment lesen bedeutet, den signifikanten Leerstellen nachgehen. Diese sind durch jene Theoretiker markiert, mit denen Althusser sich, meist unausgesprochen, auseinandersetzt: Freud, Gramsci, Foucault, Lacan.
Als Primärtext jedoch skizziert das Fragment eine ganze Theorie der Ideologie. Diese Theorie begründet sich durch eine Grenzziehung: Sie setzt sich von einer aufklärerischen Ideologiekritik ab. Die Ideologietheorie entlarvt ihren Gegenstand nicht als falschen Schein, sondern entwirft ihn als eigene gesellschaftliche Realität. Der Kontext der Ideologie ist also nicht so sehr die Wahrheit als die Macht. In diesem Sinne ist Althussers Text heute wieder von großem Interesse - eröffnet er doch, angesichts der Rede vom "Ende aller Ideologien", ein Feld der Sichtbarkeit, in dem gegenwärtige Ideologien, die bislang eine unsichtbare Existenz geführt haben, ins Licht der Theorie gerückt werden können.