Die Mitgliedstaaten der EU, die sich in dieser Rolle notwendig als offene Verfassungsstaaten konzipieren müssen, haben ihre gesamte Rechtsordnung gegenüber dem vorrangigen Europarecht geöffnet. Im Zuge dessen gilt es, die wechselseitige Verzahnung vom europäischen und nationalen Verfassungsrecht sichtbar zu machen, verfassungsrechtlich aufzubereiten und rechtsdogmatisch zu steuern. Mit den am Begriff des Verbunds orientierten Ansätzen wird dabei die gesamteuropäische Verfassungswirklichkeit dahingehend auf den Punkt gebracht, daß die Verfassungsordnungen mehrerer Ebenen zwar einerseits autonom nebeneinander stehen, andererseits aber den Charakter komplementärer Teilordnungen haben, die in vielfacher Weise normativ mit dem europäischen Verfassungsrecht verklammert sind: Europäisches und mitgliedstaatliches Verfassungsrecht sind voneinander abhängig und aufeinander angewiesen, weshalb zur Vermeidung von Konflikten die stete Berücksichtigung der Vorschriften des anderen Rechtskreises bei der Interpretation der Vorschriften des eigenen Rechtskreises erforderlich ist. Diese grundlegende Zukunftsfrage von Staat und Verfassung im Kontext der EU wurde im Rahmen der Ersten Göttinger Gespräche zum deutschen und europäischen Verfassungsrecht von Experten aus Wissenschaft und Praxis diskutiert. Vor dem Hintergrund der den europäischen Verfassungsvertrag ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden sammelt der Tagungsband Beiträge, die grundlegend der Frage nachgehen, wo die EU, ihre Mitgliedstaaten und die Bürger im europäischen Integrationsprozeß stehen.