"Homo medietas" - "Der Mensch als Mitte": Dies ist nicht nur ein Thema neuplatonischer und hermetischer Philosophie oder mittelalterlicher Mystik, sondern es ist eine Denkfigur, die von der Antike bis in die Neuzeit den philosophischen, religiosen und literarischen Diskurs entscheidend pragt. Dabei geht es keineswegs um eine Bestimmung des Menschen, die - etwa in den Begriffspaaren "Zeit und Ewigkeit, Korper und Seele, Sprache und Schweigen, Mikrokosmos und Makrokosmos" - eindeutig zu fassen und auf eine einzelne Tradition festzulegen ware, sondern um ein in spiritueller, theologischer, philosophischer oder literarischer Form immer wieder und immer neu verarbeitetes anthropologisches Denkbild. Dieses bringt zunachst - seit Platon - die spezifische Freiheit des Menschen zum Ausdruck, aber es reflektiert gleichzeitig auch die vielfaltigen Spannungen, die im Nachdenken uber das menschliche Dasein von konstitutiver Bedeutung sind. So ist denn die Metapher der "Mitte" oder der "Zwischenstellung" des Menschen immer eine Chiffre dessen, was sich der diskursiven Bestimmung letztlich erfolgreich entzieht, jedoch im wissenschaftlichen, religiosen, philosophischen und literarischen Gesprach immer angesprochen und zum Ausdruck gebracht werden muss.
Der Band versammelt in diesem Sinne Aufsatze internationaler Fachgelehrter aus den Bereichen Literatur-, Sprach- und Religionswissenschaften sowie der Philosophie, die dieses Thema in seinen vielfaltigen Facetten reflektieren. Er wirft so ein kulturanthropologisches Schlaglicht auf ein Motiv, das im Werk von Alois Haas durchweg eine entscheidende Rolle gespielt hat und das hier in seiner historischen und in seiner interdisziplinaren Bedeutung zur Sprache kommen soll. Die Beitrage lesen sich denn auch als eine Sammlung von Zugangen und Reflexionen, die das Motiv der Mitte im Blick auf Aspekte der christlichen Theologie und Hermeneutik, der Mystik und Literatur, der Philosophie und Religion in ihrer Vielfalt erschliessen."