Der vorliegende Modellentwurf für ein chinesisches Haftungsgesetz, an dessen Ausarbeitung die beiden Autoren als Berater beteiligt sind, zielt auf die Formulierung eines Haftungsrechts für das 21. Jahrhundert, das auf den Erfahrungen in den westlichen Industriegesellschaften im letzten Jahrhundert aufbaut. Der Entwurf basiert auf einer Absage an die naturrechtlich begründete Tradition des neuzeitlichen europäischen Privatrechts. Damit sind die Weichen für die Struktur und Konzeption des Gesetzentwurfes gestellt. Die alte personale Verschuldenshaftung taucht zwar noch auf, ist aber in ihrem Kern auf Haftungsfragen im häuslichen oder persönlichen Bereich beschränkt. Das zentrale neue Element ist die quasi-strikte Unternehmenshaftung, die auch die Frage der Mitarbeiteraußenhaftung (Arbeitnehmer-/Geschäftsführerhaftung) mit umfasst. Das traditionale Deliktsrecht wird mit diesem Schritt strukturell den Gegebenheiten der Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft angepasst. Neu ist auch die Verallgemeinerung der Haftung für Organisationsverschulden über den Bereich der privaten Wirtschaft hinaus. Der vorliegende Gesetzentwurf mit Text (in deutsch, englisch, französisch, japanisch und chinesisch) und ausführlicher Begründung reicht damit in seiner Bedeutung weit über den wichtigen Anlass hinaus, für den er erarbeitet wurde, nämlich den Abschluss des chinesischen Zivilgesetzbuches. Er setzt sich detailliert mit den aktuellen nationalstaatlichen und EU-rechtlichen Initiativen zur Reform des Haftungsrechts auseinander und wird somit selbst zu einem bedeutsamen Referenzpunkt für die weitergehende Reformdebatte in Europa.