Nachdem Odysseus im 13. Buch der Odyssee zuruck nach Ithaka gelangt ist, steht ihm nun nach der ausseren Heimkehr noch die innere Heimkehr, d.h. die Auseinandersetzung mit den Bewohnern seiner alten Heimat, bevor. Anders als in der vorhomerischen Tradition, die sich aus dem Vergleich mit nicht-griechischen, besonders auch slawischen Heimkehrergeschichten erschliessen lasst, will der homerische Odysseus aber nicht mehr so sehr die Loyalitat seiner Angehorigen und Mitburger prufen, sondern sie vielmehr mit seinen Trugreden emotional auf die Wiedererkennung vorbereiten. Eine zweite wichtige Funktion der Trugreden ist ihre Kontrastfunktion zur eigentlichen Biographie des Helden, der mit seinen Erzahlungen neu definiert, wer er ist und wer nicht. In der nachhomerischen Literatur werden die typischen Trugredenmotive dann immer wieder in Verbindung mit Intrigenhandlungen aufgegriffen. Den Abschluss und Hohepunkt dieses Rezeptionsstrangs bildet die Ephemeris des Diktys von Kreta, der sich mit dem Kreter der homerischen Trugreden identifizieren lasst, wodurch eine neue Wurdigung dieser mit den Begriffen von Wahrheit und Luge spielenden Schwindelliteratur ermoglicht wird. Die allgemeine Schlussfolgerung der Studie besteht darin, dass die Odyssee ein Scharnier darstellt zwischen der alten, stets konservativen Tradition der oral poetry und der neuartigen Tradition selektiver literarischer Bezugnahme und Anspielung, die schon im 7. und 6. Jh. v. Chr. mit den homerischen Hymnen einsetzt."