Achtzig deutschsprachige Autoren begeben sich auf einen Trip, zurück in die Zeit der Beat- und Rockmusik der 60er und 70er Jahre. In persönlichen Erinnerungen werden Momente und Geschichten aus der eigenen Jugend lebendig, als ein einziger Song die ganze Welt retten konnte. Oder zumindest einen Sommerabend. Eine literarische Liebeserklärung an die beste Musik aller Zeiten, von den Stones über Iron Butterfly bis Leonard Cohen.
Während der folgenden acht Sekunden Stille, während denen
es aus den Lautsprechern leise brutzelte, betrat der Stripper die
Tanzfl äche und nahm, während die ersten Takte von »Angie« liefen,
die schönste Tänzerin in den Arm - und schön waren sie
alle, die Drogenbräute 1974, du lieber Himmel, schön und gefährlich
und geheimnisvoll wie tropische Blumen, und alle sind
sie jung gestorben (...) und der Stripper war ihr König. Er trug
ein Holzbein, einen mächtigen Schnurrbart und hatte "B-o-r-nto-
be-w-i-l-d" auf die zweitvordersten Glieder seiner zehn Finger
tätowiert. Eigentlich hieß er Werner Munzinger und war ein Ur-
Ur-Neffe von Josef Munzinger, dem größten Sohn unserer Stadt
und ersten Finanzminister des jungen Schweizerischen Bundesstaates
von 1848. Als ich ihn kennen lernte, war ich ein Gymnasiastlein
und er ein mächtiger Rocker mit Lederjacke und zahlreichen
Tätowierungen, dem man auf Schritt und Tritt, zu jeder
Tages- und Nachtzeit, in allen Gassen und auf sämtlichen Plätzen
begegnen konnte. Wenn er im Ratskeller saß, konnte er unglaubliche
Mengen Bier schlucken, und wenn es spät wurde,
sprach er nur noch in Reimen. Ich erinnere mich, dass er einmal
»Nichts für ungut, ein Bier ist kein Strohhut!« rief, ein anderes
Mal »Gott sieht alles, nur nichts Dralles.«
aus: Alex Capus, Stones und Stripper