Etwa seit der Jahrtausendwende ist ein internationaler und nach wie vor anhaltender Boom von Adaptionen der griechisch-römischen Mythologie und Historie zu verzeichnen. Dieser ist durch eine bemerkenswerte mediale Vielfalt und Vernetzungsfreude gekennzeichnet. Folglich erstreckt sich die „modernste Antike“ unserer Zeit nicht nur auf hochliterarische Texte oder Neuinszenierungen antiker Dramen auf dem Theater, sondern entfaltet auch in gegenwärtigen Massenmedien vom Historienroman, dem Comic bis hin zum Hypermedium Themenpark und zum Alltagsmedium Internet seinen Wandlungsreichtum. Mithin scheint die Zeit der postmodernen Renaissance der Antike angebrochen zu sein.
Die vielschichtigen Phänomene, die sich der altertumswissenschaftlichen Antikenrezeptionsforschung als Gegenstände bieten, sind mit dem Philosophen Hans Blumenberg (1920–1996) zu verstehen als Erscheinungsformen einer modernen Arbeit am Mythos. Als solche eröffnen sie Anschlussmöglichkeiten für neue Geschichten und Verfahrensmöglichkeiten zur ästhetischen und ethischen Auseinandersetzung mit den eigenen Grundfragen menschlichen Daseins im Spannungsfeld von Veralltäglichung und Entalltäglichung. Diese Forschungsaufgabe ist bislang in zahlreichen, teilweise weit verstreuten Einzeluntersuchungen angegangen worden. Oft handelt es sich um Fallstudien oder Ansätze zur Bündelung des reichen Materials. Dies hat zu einer erheblichen fachlichen und methodischen Heterogenität der Zugänge geführt. Dabei werden die sprach-, kulturraumspezifischen und medialen Unterschiede und Zusammenhänge in den Adaptionsstrategien allerdings oft nicht hinreichend reflektiert. Diese Lücke will dieser Band mit seiner synthetisierenden Anlage schließen. Er setzt sich zum Ziel, im Dialog der Fächer die als aussichtsreich erkannten Forschungsfelder vorzustellen. Innerhalb dieser Themenbereiche werden Untersuchungsdesigns für eine betont interdisziplinäre und intermediale Methodik erprobt. Diese streben eine systematische Zwischenbilanz der bisherigen Forschungserträge an und haben das Ziel, die bisherigen Ansätze synergetisch zu verweben. Der Band schafft eine Grundlage, um im Zusammenwirken der Disziplinen die Präsenz und die Bedeutung von Mythos und Historie der griechisch-römischen Antike in den europäischen Sprach- und Kulturräumen der Gegenwart punktgenau untersuchen und einordnen zu können.