Lange Zeit wurde die Fridericiana in Halle in ihren Anfangen als Reformuniversitat des Pietismus und der Aufklarung verstanden. Bei grundlicher Untersuchung der Quellen zeigt sich jedoch ein anderes Bild. Der Universitatsgrundung lag kein auf Pietismus und Aufklarung zielendes, von kurfurstlicher Seite durchgeplantes, reformpolitisches Programm zugrunde. Vielmehr entsprach sie der Logik eines seit 1613 entwickelten konfessionspolitischen Handlungskatalogs, der auf die Selbst-Reformation der mehrheitlich lutherischen Untertanen und die Foerderung der Reformierten setzte. In Halle wurde diese Politik seit der Eingliederung des Herzogtums Magdeburg in den hohenzollernschen Territorialverbund 1680 etabliert und mit der Universitatsgrundung noch einmal forciert. Die Herstellung einer innerlutherischen Vielfalt an der Fridericiana durch eine vermeintlich innovative, auf Pietisten und Fruhaufklarer ausgerichtete Personalstrategie war dabei nur ein Umweg zum Erreichen des konfessionspolitischen Ziels. Damit wird sowohl mit dem Mythos der Reformuniversitat Halle als auch mit dem Mythos der preussischen Toleranz aufgeraumt. Vielmehr uberlagerten sich an der Universitat und in der Stadt Halle Ende des 17. Jahrhunderts grundlegende Konflikte um Rechtglaubigkeit und konfessionelle Identitatsstiftung im Luthertum in exemplarischer Weise. Die Analyse der Auseinandersetzungen zwischen Universitatsprofessoren, hallischer Stadtgeistlichkeit und Berliner Zentralregierung fuhrt zu innovativen Erklarungen fur die Entstehung des Halleschen Pietismus und sein Verhaltnis zur lutherischen Orthodoxie und zur Aufklarung im Rahmen lutherischer Konfessionskultur.