Dieser Band formuliert – über den Kontext philosophischer Editionen hinaus – Probleme und Forschungsfragen, die sich in der Edition von Manuskripten zu Vorlesungen, von Nachschriften sowie von Seminarprotokollen ergeben. Der Fokus liegt auf methodischen Lösungsansätzen, die exemplarisch an Editionsvorhaben von Texten des 18. bis 20. Jahrhunderts vorgeführt werden. Damit bildet der Band ein Kompendium, von dem weitere editorische Forschung ausgehen kann. Frank Grunert und Holger Glinka eröffnen den Band, indem sie am Beispiel der Edition einer Nachschrift der Grotius-Vorlesung von Christian Wolff zeigen, dass professionell hergestellte Nachschriften auf eine besondere wissenssoziologische Situation hinweisen: Mit der zunehmenden Emanzipation der Vorlesungen von kanonischen Lehrbüchern hat die Vorlesung selbst Lehrbuchcharakter entwickelt, der den Zugzwang ihrer Hörer noch verstärkt, sich des von Professoren gesprochenen Wortes schriftlich zu vergewissern. Der Handel mit Nachschriften hat hier seinen Grund wie in der Überlieferung besonders elaborierter Manuskripte in den Nachlässen adeliger und vermögender Häuser. Werner Stark stellt die problematische Funktion von Nachschriften als vermeintlicher Stütze für weitgehend ungeschriebene Werke am Beispiel von Kants Physischer Geographie in der Ausgabe Rink heraus und teilt damit spezifische Erfahrungen mit den älteren Editionen von Nachschriften Kantischer Vorlesungen in Königsberg mit. Holden Kelm rekonstruiert im historischen Vergleich, wie unterschiedliche Editionsstandards und v. a. Absichten ihren Autor gerade in der Rekonstruktion seiner Lehre jeweils neu konstitutieren, sodass ein editorisch manifestes theologisches Interesse an Schleiermacher zunehmend von einem philosophischen abgelöst wird. Annette Sell spürt anhand der Edition der Vorlesungsnachschriften zu Hegels Logik der Frage nach Hegels möglicherweise eigenen Überlieferungsabsichten seines in seiner Bewegung vorgetragenen Werkes nach. Johannes Korngiebel nimmt eine Nachschrift zu Friedrich Schlegels Jenaer Vorlesung zur Transcendentalphilosophie von 1800/01 zum Anlass, die Leistungsfähigkeit einer textkritischen Auswertung von Vorlesungsnachschriften für die Edition exemplarisch darzustellen. Christoph Binkelmann teilt aus der Werkstatt Schellings die editorischen Herausforderungen mit, die dessen Vorlesungen über Philosophie der Kunst bedeuten. Daniel Elon beleuchtet Schopenhauers Versuche als Dozent, wie sie sich in den Manuskripten zu dessen Vorlesung von 1820 darstellen. Francisco Arenas-Dolz nimmt Nietzsche als Universitätslehrer ernst und vertieft anhand der Edition der Vorlesung „Einleitung in das Studium der klassischen Philologie“ die Reflexionen über das Verhältnis von Vorlesungen und den sie begleitenden Textarten. Windelbands vor wenigen Jahren in Sendai (Japan) wiederaufgefundene Manuskripte zur Vorbereitung von Lehrveranstaltungen und Publikationsvorhaben sind Gegenstand von Jörn Bohrs Beitrag. Andrea Leubin und Monika Philippi gewähren einen Einblick in die Edition von Vortragsnachschriften innerhalb der Rudolf Steiner Gesamtausgabe. Max Webers Manuskripte für Vorlesungen dienen Sophia Krebs und Ulrich Rummel als Fallbeispiel für das Ermitteln und Belegen von Krypto-Zitaten und Paraphrasen, einem Hauptgegenstand editorischen Kommentierens. Mit Thomas Kessels Beitrag zu Nicolai Hartmanns Circelprotokollen wird das 20. Jahrhundert in den Blick genommen, als in den Seminaren und Kolloquien die Form des Protokolls Einzug hielt. Dirk Braunstein liefert eingehende Reflexionen über den möglichen Sinn der Begriffe ‚Autorschaft‘ und ‚Authentizität‘ in der Editionspraxis solcher Seminarprotokolle. – Beigefügt ist eine Bibliographie zum Thema Edition von Kollegheften, Kollegnachschriften und Protokollen.