Herder und Nietzsche werden bis heute oft nicht als ernstzunehmende Philosophen wahrgenommen. Ihr bewusst nicht-systematisches Denken lässt sie vorgeblich als bloße Schriftsteller, Dichter, Prediger, Moralisten erscheinen und von ihnen keinen maßgeblichen Beitrag zur philosophischen Forschung erwarten. Inzwischen hat sich das Selbstverständnis des Philosophierens geändert, und zu dieser Änderung haben sie, wie diese Arbeit zeigt, maßgeblich beigetragen. Sie haben die Philosophie selbst aufgrund ihrer natürlichen, moralischen und religiösen Bindungen skeptisch in Frage gestellt: Sie beschreiben den Menschen von Grund auf neu vom natürlichen Ursprung seiner Sprache her, so dass sein Denken nicht auf eine rein geistige Operation reduziert werden kann. Wo Herder noch von religiösem Vertrauen getragen ist, bezieht Nietzsche in seine Genealogisierung auch das genealogisierende Subjekt mit ein. Beide, Herder und Nietzsche, verstehen die Wahrheit pragmatisch. Pragmatisch ist auch ihre Betrachtung der Historie, die dem Leben dienen soll. Wie sie das kann, hängt von der Reflexion darüber ab, wie der Mensch, die Kultur, die Geschichte und die Gesellschaft bestimmt werden, um Orientierung geben zu können. Herder und Nietzsche machen misstrauisch gegen Ideologien und Prophezeiungen. Will Herder nach den aufklärerischen rationalistischen Verunsicherungen wieder Mut zum christlichen Glauben machen, so kann in der Dialektik der Aufklärung nach Nietzsche das Individuum letztlich Sicherheit nur aus sich selbst gewinnen.